[Graz] Nachwehen der Murdemonstrationen: Stadt und Land kriminalisieren Demonstranten
Grazer Landesgericht für Strafsachen – der Unterschied von Sein und Schein
„Der Justiz ist es ein großes Anliegen, dem Informationsanspruch der Bürgerinnen und Bürger sowie der Medien im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden.
Durch aktive Öffentlichkeitsarbeit soll das Verständnis der Öffentlichkeit für die Rechtspflege und das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz und in ihre Einrichtungen gestärkt werden.“ https://www.justiz.gv.at/web2013/lg-fuer-strafsachen-graz/landesgericht-fuer-strafsachen-graz/medienstelle~2c94848540b9d4890140c587762c027e.de.html
Diese Erklärung auf der Internetseite des Landesgerichts klingt sehr bürgernahe. Der Lokalaugenschein bei einem Gerichtstermin vermittelt aber ein anderes Bild. Nicht nur, dass auf der Internet-Seite des Gerichts für Graz kein Verhandlungskalender zu finden ist der Auskunft über die Verhandlungen gibt, auch die Verfahren selbst sind Anlass für ein ungutes Gefühl. Wohnt man einem Verfahren bei, so wirkt das nicht so, als würde „Rechtspflege“ betrieben und „das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz“ wird eher geschwächt als gestärkt.
Konkreter Anlassfall für diesen Eindruck lieferte die Verhandlung vom 28.8.2018 gegen einen Demonstrationsteilnehmer der Demonstration gegen die Rodung der Mur-Au in Graz.
Vorgeschichte
In Graz ist in den letzten 60 Jahren mitten durch die Stadt an den Ufern der Mur ein, für eine Stadt einzigartiges Biotop gewachsen. Die Mur selbst wurde mit vielen Kosten und Mühen zu einem sauberen Gewässer saniert. So entstand ein, vermutlich weltweit einzigartiges Biotop mitten in einer Großstadt. Ein Biotop mit einer Ansammlung von geschützten Tieren in der Au und in der Mur selbst – Würfelnattern, Huchen etwa fanden hier direkt in der Stadt einen Lebensraum.
Anstatt in Zeiten des Klimawandels dafür zu danken, dass in Graz ohne viele zusätzliche Kosten etwas entstanden ist, um das die Stadt zu beneiden ist und das anders wo nur mit einem riesigen finanziellen Aufwand hergestellt werden kann, entschloss sich die grazer Bau-Lobby, mit ihrer Spitze Hrn. Nagl im Rathaus, dieses Biotop über große Strecken zu vernichten. Ein Stauwerk am Stadtrand sollte gebaut werden, das nicht nur die gewachsene Au massiv beeinträchtigt sondern den in Graz frei fließenden Fluss zu einem stillstehenden Gewässer werden lässt.
Die Proteste der umweltbewussten Bürger waren massiv, aber wirkungslos. Im Frühling 2017, beim erst möglichen Termin ließ die Stadtverwaltung die Bagger auffahren. Die Baustelle wurde mit Bauzäunen abgesperrt und der Vandalenakt der Umweltzerstörung begann (siehe: http://www.rettetdiemur.at/) – und hier beginnt unsere Geschichte.
Der Vorfall
Die Baustelle wurde von der Errichtungsgesellschaft mittels Absperrzäune aus Metall eingezäunt. Diese Zäune sind so gebaut, dass an ihrer Oberseite ca. 2 – 3 cm lange ½ cm dicke Drähte herausragen (vermutlich um ein Überklettern zu verhindern). Zusätzlich wurde eine private Security-Firma als Baustellenschutz engagiert.
Im Zuge der emotionell heftigen Proteste wurde nun dieser Bauzaun an einer Stelle umgeworfen. An sich nichts aufregendes. Es ist ohnedies klar, dass ca. 15 zivile Wächter das Umwerfen nicht verhindern können. Die anwesende Polizei sah auch keinen Grund bei diesem Vorfall einzuschreiten – erst als die Demonstranten die Baumaschinen besetzen wollten, schritt die Polizei ein, um Sachbeschädigungen zu verhindern – was auch gelang.
Nun wird sich jeder Fragen: Was ist der Vorfall?
Die Konstruktion
Da die Baustelle eigentlich von der öffentlichen Hand betrieben wird, die agierenden Firmen sind zum Großteil moderne Pseudo-Privatisierungs-Konstrukte, steht hinter dieser undemokratischen Umweltzerstörung der Souverän selbst: Die Stadtregierung und die Landesregierung – und die wollen diesen lästigen Untertanen zeigen, wo der Bartl den Most holt (regionale Sprichwort der Machtandrohung). Flux wurden Anzeigen gebastelt – Besitzstörung und die tollste: Schwere Körperverletzung! (Berichte über diese Einschüchterungsversuche siehe etwa: http://www.murxkraftwerk.at/artikel/prozesstermin-1272017-estag-klage-gegen-naturschuetzerin-roman-ull-weiter.html)
Jeder, der dem Bericht bis hierher gefolgt ist, wird sich die Augen reiben: Wo gibt es hier eine „schwere Körperverletzung“??
Der Tatbestand der schweren Körperverletzung
Als der Bauzaun umgeworfen wurde, hat einer der privaten Wachmannschaft im Diensteifer auf die gemeingefährlichen Stacheln, mit der dieser Zaun versehen ist gegriffen und sich dabei die Hand verletzt.
Wer jetzt noch nicht den Tatbestand der schweren Körperverletzung eines Security-Mannes durch einen fiesen tollwütigen Demonstranten erkennt, gehört vermutlich nicht zum Kreis der erlauchten Herrscherkaste.
Jeder aufrechte Leistungsträger der Stadt- und Landesregierung kann es doch klar sehen: Wäre der Demonstrant nicht vor dem Zaun gewesen, hätten die demonstrierende Masse den Zaun nicht umgeworfen, hätte der aufrechte Recke der Security nicht auf die gemeingefährlichen Stachel gegriffen – also: Der Demonstrant hat den Zaun nur umgeworfen und das noch so hinterhältig, dass er in die Hand des Security-Mannes fällt und den Hilfs-Sherif damit verletzt – na wenn das nicht schon fast an einen Mordversuch grenzt …!?!!
Um diesen gemeingefährlichen Demonstranten seiner gerechten Strafe zuzuführen hat die Regentschaft im Gewand der beteiligten Firmen flux die notwendige Strafanzeige geleistet.
Der Rechtsstaat beginnt zu arbeiten
Das Oberlandesgericht in Graz nahm daher umgehend die Arbeit auf. Der agierende Richter stellte von Anfang an klar, dass es in der Verhandlung nicht um die Murdemonstration gehe sondern nur um den gemeinen Angriff eines Passante auf die Security: Bumm! Urteil: Schwere Körperverletzung!
Was ja nur gerecht erscheint, wenn man bedenkt, dass da einer einfach des Weges kommt, einen Bauzaun losreißt und ihn gezielt mit den gefährlichen Spitzen voraus ohne weiteres auf einen Security-Mann wirft.
Vorbei ist’s mit der Unbescholtenheit. Ist auch klar! Solche Gesinnung und solch ein Tathergang!
Aber wir wir Bürger können nun wieder ruhig schlafen.
Nicht dass die Vandalen, die die Au zerstören nicht mehr im Amt sind, Nein! Die holzen in Graz weiter ab, die zerstören weiter Stadtlandschaft.
Nicht dass die gemeingefährlichen Bauzäune aus dem Verkehr gezogen sind – nein! Die sind weiter überall in Verwendung.
Nicht dass laienhaft agierende Security nicht mehr bei Demonstrationen eingesetzt würden – nein! Diese Konzept der halb-privaten Hilfs-Sheriffs gehört zum Grazer Stadtbild – sozusagen als „zivile Söldner“.
Der Demonstrant wird aus dem Verkehr gezogen. Eh klar! Wenn der gezielt mit Bauzäunen auf Menschen wirft!
… und überhaupt: Was ist den das für ein Mensch, der sich an einem Protest gegen die Landesfürstenherrlichkeit beteiligt – allein das würde ja schon die Bastonade nach sich ziehen!
Der Gerechtigkeit wird ein Zahn gezogen
Ein Richtersenat hat die Strafe für den Demonstranten dann aber doch von „schwerer Körperverletzung“ auf „fahrlässige Körperverletzung“ reduziert – was zumindest einen konstruierten Handlungsablauf ein bisschen plausibler macht: Durch das Umwerfen wurde jemand verletzt – das kann als fahrlässige Körperverletzung gesehen werden.
Was leider außer Acht bleibt: Der Security-Mann hat selbst, aktiv, in die Stacheln des Bauzauns gegriffen!
Mann müsste also sagen: Der Demonstrant war die Ursache dafür, dass sich der Security-Mann dann selbst verletzen konnte. Aber: Kann man sich nun wirklich um jede Kleinigkeit kümmern, wenn man Recht im Namen der Obrigkeit sprechen soll? (Da bekommt „Recht im Namen der Obrigkeit“ eine weitere Bedeutungsdimension)
Aber der Biss ist noch da!
Damit komme ich endlich zur heutigen Verhandlung, die notwendig wurde, weil das Verfahren vom erwähnten Richtersenat an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Wie der ganze Vorgang, so lässt auch diese heutige Verhandlung kein vertrauenserweckendes Bild der Justiz zurück. Selbst hier beim Schreiben muss ich aufpassen, dass der Zynismus nicht zu sehr mit mir durchgeht – denn ohne Zynismus ist der Ablauf nicht zu verdauen.
Der Beklagte bekenn sich nicht schuldig
Der Beklagte bekennt sich weiterhin als „nicht schuldig“ der Körperverletzung – ja er versteht gar nicht, wie er so angeklagt werden konnte. Der ganze Vorfall mit dem Zaun dauerte nicht länger als ca. sieben Sekunden, sodass er nicht einmal genau sagen kann, was er dabei gedacht, oder wem er gesehen oder nicht gesehen hat. Er ging mit seinem Hund spazieren und kam zur Demo. Er hat natürlich auch eine negative Einstellung zum Kraftwerksbau. Die Naturzerstörung, die Ausrottung von Fischen und Schlangen machten ihn sehr betroffen, wie eben auch die anwesenden Demonstranten. Es herrschte also eine emotional aufgeladenen Stimmung. Im Zuge der Demonstration wurde er mit seinem Hund gegen den Absperrzaun gedrückt, an dem Demonstranten als Protest gegen die beginnenden Rodungen gerüttelt haben.
Der Versuch den Beklagten zu zermürben
Nun versucht die Richterin fast eine Stunde lang den Angeklagten dazu zu bringen, sich in Widersprüchlichkeiten zu verwickeln. Immer wieder die Frage, was er am Zaun wollte, ob er die Security gesehen hat, ob er den Zaun umwerfen wollte usw. usw.
Der Vorgang wurde damals auf Video aufgenommen und es ist auch auf diesem Video klar zu sehen was passiert ist. Natürlich ist auf dem Video nicht die Verletzungsabsicht der einzelnen Person zu erkennen (ich schreibe das, weil ca. 15 grüttelt haben, aber anscheinend nur der Angeklagte böswillige Pläne gegen die Security hegte). Es sind eben nur Demonstranten zu sehen, die am Zaun rütteln. Der Angeklagte, der auch am Zaun steht und gegen ihn drückt, eventuell auch rüttelt und dann ist der umgefallene Zaun zu sehen, wo der Angeklagte auf dem Zaun steht.
Da das rechtlich aber nicht viel her gibt, versucht die Richterin immer und immer wieder den Angeklagten zur Aussage zu verlocken, er habe den Security-Mann gesehen und wollte den Zaun gezielt umschmeissen. Damit könnte die Basis für die Körperverletzung konstruiert werden. Leider bleibt der Angeklagte dabei, dass, aufgrund der tumultartigen Ereignisse, er gar nicht genau sagen kann, womit er gerechnet oder was er in den sieben Sekunden gesehen habe – vor ihm war jedenfalls seiner Meinung nach kein Security-Mann.
Der Versuch einen Tatbestand zu konstruieren
Ab jier wird für mich die ganze Verhandlung kafkaesk weil, wenn er den Zaun umwerfen wollte was soll’s. Allein hätte er es nicht geschafft und er steht allein vor Gericht. Wenn das Gericht aus dem Protestwillen heraus eine Körperverletzung konstruieren wollte, dann müssten die ca. 15 Demonstranten neben dem Angeklagten stehen (aber ev. planen das Nagl und Co. noch – die Videos sind ja verfügbar !??).
Auch wenn die Richterin immer wieder hören wollte, dass der Angeklagte damit gerechnet hat, dass der Zaun umfällt und der Angeklagte immer wieder aussagt, dass er daran gar nicht gedacht habe, er immer wieder sagt, dass der Ablauf so rasch war, dass er gar nicht genau weiß was er gedacht hat – dass er nicht damit rechnen habe können, dass ein Security auf die Stacheln am oberen Zaunende greifen würde.
Die Richterin will es nun aber genau wissen: Wie hätte den der Angeklagte den Zaun angegriffen? Kein Scherz, wurde wirklich gefragt – eben irgendwie kafkaesk das Ganze.
Dann wird der Angeklagte wieder gefragt, ob er die Security gesehen habe und ob er aufgefordert wurden, nicht am Zaun zu rütteln? Was soll ein Demonstrationsteilnehmer schon dazu sagen? Sind eigentlich blöde Fragen. Wenn man zu einer Demo geht, oder auch per Zufall in eine gerät mit der man sich solidarisiert, steht man dann da wie eine Salzsäule und klebt sich ein Pflaster auf dem Mund – oder macht man eventuell bei harmlosen Aktionen und Sprech-Chören mit? An einem relativ massiven Metallzaun, der in Betonsteher steckt, zu rütteln, würde mir als harmlos erscheinen.
Nun der Angeklagte sagte das einzige was er sagen kann: Wie er beim Zaun stand habe er keine Security gesehen, und die Aufforderungen, daran könne er sich nicht so genau erinnern – das ging alles zu schnell.
Die virtuelle Welt ersetzt die Aussagen
Die ganze Befragung wird noch eine Stufe kafkaesker, da sich der Angeklagte und auch die Richterin immer mehr auf das beziehen, was auf dem Video zu sehen ist. Auch der Angeklagte sagt dann immer mehr aus, dass seine Darstellungen und Meinungen nachträglich vom Video geprägt wurden. Eine Zeugenaussage, die man eigentlich sparen kann, weil das Video ja ohnedies vorhanden ist.
Es wurde nun noch kurz ein Security-Mitarbeiter befragt, der eigentlich auch nichts neues aussagte. Dann wurde noch der Einsatzleiter der Polizei befragt, wieviele Polizisten vor Ort waren – und dann wurde vertagt, weil die Zeugen der Security-Firma nicht zum Prozess erschienen sind.
Alles sehr seltsam!
Zentrale Fragen werden nicht gestellt
Vor allem, da die zentralen Fragen nicht gestellt wurden. Etwa: Warum hat die am Ort befindliche Einsatzgruppe der Polizei nicht eingegriffen, wenn die Lage angeblich so gefährlich war?
Ich glaube die Frage erklärt sich aber von selbst, darum wird sie nicht gestellt: Die Lage war nicht gefährlich. Wenn der Bauzaun umgeworfen wird, so ist das im Zuge der Demonstration keine große Sache! Erst durch das ungeschickte Agieren der Security trat die Verletzung auf, die nun aufgebauscht wird.
Auf den Videos sind auch andere, rechtlich bedenkliche Handlungen zu sehen – aber von Seiten der Security. Die werden von der Staatsanwaltschaft nicht einmal erwähnt. Zu einem gewissen Teil ebenfalls mit Recht. Es ist eben eine Ausnahmesituation. Anscheinend unterstellt das Gericht nur dem Angeklagten, kühl überlegend eine Attacke auf die Security geplant zu haben, während es Staatsanwalt und Gericht anscheinend verständlich finden, dass die private Security weit überfordert war.
Es war eben früher in unserem Rechtsstaat mit Gewaltentrennung nicht üblich, private Security als Demonstrationssicherung dieser Art einzusetzen. Das war Polizeiaufgabe. Dieses Personal ist geschult und ich traue mir zu sagen: Kein Polizist hätte in der Weise auf den Bauzaun gegriffen!
Die Frage, ob die Security-Firma ihre Mitarbeiter für diesen Einsatz eventuell nicht umfassend eingewiesen und auf die gemeingefährliche Konstruktion des Bauzaunes hingewiesen hat, die wurde natürlich auch nicht gestellt – aber vielleicht kommt das noch …
Ein Unfall wird von der Verwaltung zum Straftatbestand gemacht
Dass viele der auf der Hand liegenden Fragen nicht gestellt wurden, ist auch klar: Niemand konnte damit rechne dass so etwas passiert. Es war praktisch ein Unfall. Nur die unsäglichen Regenten von Stadt und Land konstruieren daraus ein Kriminaldelikt – und das Gericht muss da mitspielen.
Damit sind wir wieder am Anfang: Vertrauen in die Gerichte? Sehr fraglich!
Besonders befremdet wirkte auch der Abschluss der Prozesssitzung:
Die Richterin vertagte auf Ende September und schloss die Sitzung. Die Anwesenden wurden aufgefordert den Saal zu verlassen – und dann blieben Richterin, Ankläger und Staatsanwältin noch im Raum. Nicht dass es illegal wäre – es wirkt nur sehr befremdlich – vor allem im Zusammenhang mit den vorherigen Abläufen ..
Der Eindruck der bleibt: Es werden praktisch konstruierte Prozesse abgehalten, welche von den Gerichten eigentlich aus Mangel an Substanz abgewiesen werden müssten.
Ich bin schon gespannt, ob die Gerichte sich bei der Klage von Liste Pilz gegen Mag. Nagl (siehe: https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/5461151/Murkraftwerk_Pilz_Anzeige-gegen-Buergermeister-Nagl ) auch so in die Faktenkonstruktion zu Ungunsten des Angeklagten werfen wird …
Graz, 28.8.2018, W. Friedhuber