[Steiermark] Ist die BDS eine Terrororganisation?
In der Kronenzeitung vom 13. Juli 2019 auf Seite 18 titelt Gerhard Felbinger „Land zieht Notbremse“ und meint damit, dass einem Verein der sich solidarisch mit BDS erklärt, die Unterstützung gestrichen wird.
Zwar wird in den Kronenzeitungsüberschriften häufig „die Notbremse gezogen“, aber in diesem Fall gibt es einen Zusammenhang mit „[…] Kontakte zu Judenhassern […]“ (Teile der Bildunterschrift zu einem Bild von Landesrat Drexler) und den Vorwurf von Terrorismus.
Der Artikel unterstellt einem nicht genannten Verein „Querverbindungen zur Terrorszene“, die der „Verfassungsschutz ortet“.
Der Verfassungsschutz ortet also Terrorverbindungen und die FPÖ orten einen Fördermittel-Skandal und stellen eine Anfrage an die Landesräte Kampus, Lackner und Drexler. Der „Gesundheitslandesrat Christoph Drexler reagiert prompt. ‚Wer zum Boykott von Israel aufruft oder solche Aufrufe unterstützt, wird in meinen Verantwortungsbereich unter keinen Umständen mehr gefördert‘, stellt der Landesrat unmissverständlich klar“.
Was ist nun an diesem Vorgang bedenklich?
Nun zualler erst, dass der Verein nicht genannt wird. Der Verein hat so kaum eine Möglichkeit sich gegen diese Art der Unterstellung rechtlich zu wehren.
Aber zuerst einmal: Was ist BDS?
BDS ist eine Organisation, die tatsächlich zum Boykott israelischer Waren aufruft. Der Grund für diesen Boykottaufruf ist die Politik Israels. Nicht: Judenhass! Israel ist ein Staat in der Staatengemeinschaft – und eigentlich kein „Judenstaat“ – auch wenn viele Israelis das so sehen wollen. Ein „Judenstaat“ wäre eben rassistisch im klassischen Sinn und der Protest von BDS richtet sich eben genau gegen diesen Rassismus – aber nicht gegen die Menschen, sondern gegen die Politik Israels. Israel agiert gegenüber Palästinensern wie eine Kolonialmacht (Landraub, unverhältnismässige Gewaltanwendung, Embargos usw.). Dagegen richtet sich BDS.
Die Ziele der BDS sind:
- ) Das Ende der Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes und ein Abriss der Mauer.
- ) Die vollkommene rechtliche Gleichstellung der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels.
- ) Die Anerkennung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren wie es in der UN-Resolution 194 vereinbart wurde.
(BDS)
Die BDS-Bewegung erklärt sich ausdrücklich als gewaltfreie Bewegung (siehe etwa: http://bds-info.at/bds-wie-eine-kontroverse-gewaltfreie-bewegung-die-israelisch-palaestinensische-debatte-veraendert-hat/). Im Kronenzeitungsartikel wird unter Berufung auf den österreichischen Verfassungsschutz eine Terrorverbindung unterstellt.
Nun – das ist der Kern dessen, warum ich mich genötigt fühle, diesen Beitrag zu schreiben:
Frühen (vor ca. 3 Jahren) wurde der BDS in Österreich vorgeworfen, dass ihr Boykottaufruf Ähnlichkeiten mit den Aufrufen der Nationalsozialisten habe. Nachdem dieser Vorwurf zunehmend die Wirksamkeit verliert, weil er einfach unhaltbar ist, wird nun der Terrorvorwurf erhoben – der ist moderner.
Es ist verständlich, dass israelfreundliche Gruppen dieses Propagandamittel ergreifen – unverständlich ist es aber, dass eine Landesregierung ohne Beweise auch zu diesen Methoden der Meinungseinschränkung greift – und zwar nur aufgrund von Behauptungen und vagen „Ortungen“.
Tatsache ist, dass BDS keine illegale Organisation ist und dass es daher ebenso nicht sanktionsbedürftig ist, mit den Zielen des Vereins solidarisch zu sein – schon gar nicht als Privatperson. Es reißt in Österreich immer mehr ein, dass eigentlich kein Vergehen vorliegt, aber Teile der Regentschaft Menschen und Gruppen trotzdem diffamieren und sanktionieren – und der Entzug der Förderung für einen Verein ist eine Sanktion.
Es zählen also nicht mehr die Vereinsziele, die Vereinstätigkeiten, auch nicht mehr die objektive Rechtslage – es zählt die verdeckte Propaganda, die Eindrücke von Regierungsräten und Vermutungen des Verfassungsschutzes.
Gleichzeitig werden aber von diesen Regenten völkerrechtswidrige – oder zumindest höchst bedenklich begründete Sanktionen gegen Staaten mitgetragen, die auf wesentlich Geringerem fußen als die Argumente des BDS gegen Israel. Russland hat Sanktionen weil die USA die Ukraine nicht bekommt, Iran hat Sanktionen weil die USA aus dem Atomvertrag aussteigt, Syrien wird bomardiert und sanktioniert, weil der USA die Regierung nicht passt, Venezuela, Libyen und und und … da hat kein Landesrat seine Förderungen an Organisationen eingestellt, die diesem Wahnsinn zustimmen. Aber wenn gegen die Politik Israels protestiert wird, dann werden auch die sanktioniert, die sich mit dem Protest solidarisch erklären.
Dieses Vorgehen entspricht einer Meiungsdiktatur. Der österreichische Verfassungsschutz soll seine Belege dafür, dass der BDS eine widerrechtliche Nähe zu Terroristen hat belegen und die Organisation verbieten. Aber auch in diesem Fall würden Solidaritätsbekundungen von Menschen und Organisationen erst ab diesem Inkrafttreten der Verbote sanktionierungswürdig sein.
Bis dahin halte ich das Vorgehen der steirischen Landesräte für äußerst bedenklich.
Graz, 14.7.2019, W.Friedhuber
PS.:
Es ist auch bemerkenswert, wie Österreich und auch die Steiermark in jüngster Zeit die Wirtschaftsbestrebungen Israels unterstützt und fördert.
Es sei nur in Erinnerung gerufen: Herr Kern hat israelische Firma gegründet (keine österreichische), in Mureck wurde eine israelische „Sicherheitsakademie“ genehmigt, Zusammenarbeit auf dem Technologiesektor, Zusammenarbeit bei Bio-Medizin usw. – bei diesen wirtschaftlichen Interessensverflechtungen von österreichischen Kapitalgebern und israelischen Exportinteressen wird es zwar verständlich, dass auch steirische Landesräte gegen Boykott-Aufrufe aufgrund Menschenrechtsverletzungen gegen Israel empfindlich regieren – aber: Rechtsgrundsätze sollten doch noch ein bisschen eingehalten werden (auch wenn die Subventionsvergabe in der Steiermark anscheinend nach landesfürstlichen Gebaren des individuellen Ermessens erfolgt).
Wirklich kurios wird es, wenn wir die „Querfront“ zur FPÖ anschauen, die sich möglicherweise nicht bloss selbst vom Atisemitismismusvorwurf rein waschen will sondern durch die Hintertüre faschistoides Verhalten (Denunzieren und legitimieren von Repression) normalisieren will.
https://www.fpoe-stmk.at/news-detail/fpoe-hermann-fragwuerdige-subventionen-an-antisemitische-vereine-sind-sofort-einzustellen/
Auffallend ist, dass vermeintliche Experten für sich in Anspruch nehmen, über andere Menschen Fernurteile zu verfassen, ohne grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 EMRK (Unschuldsvermutung, Recht des Beschuldigten Stellung zu nehmen und auch die volle Anklage zu erfahren) sinngemäß einzuhalten.
Natürlich gibt es an der BDS viel zu kritisieren. Ich kann aber schwer andere Menschen zum Überdenken des eigenen Standpunktes bewegen, wenn ich diese von vorneherein verurteile und gewaltsam ausschließen will.
Insofern ist es extrem problematisch, dass in Österreich gegen die Verweigerung von Subventionen kein Rechtsmittel besteht, weil es auch keinen Bescheid über Zuerkennung von Subventionen gibt, obwohl es sich dabei um Steuergelder handelt und daher die Grundsätze der Verfassung – auch das Diskriminierungsverbot nach Artikel 14 EMRK !!! – einzuhalten sind bei der Subventionsvergabe …
Der strukturelle Faschismus scheint in Krähwinkel allgegenwärtig zu sein :-(
Trackback by Menschenrechtsfreundlicher Beobachter 23. Juli 2019 08:46
Korrekterweise sollte schon angemerkt werden, dass ein allgemeiner Boycottaufruf gegen Waren aus Israel natürlich auch jene Unternehmen und Menschen trifft, die die Kriegs- und Besatzungspolitik des Staates und die rechtsextremen Siedler NICHT unterstützen.
Auch sonst vergiftet ein allzu undifferenzierte Boycott-Aufruf das Gesprächsklima und sollte sich daher auf die expliziten Kriegstreiber beschränkten. Gerade Linke sollten auch auf korrekte Methoden schauen und für ALLE grundsätzlich gleiche Kriterien anlegen.
Pragmatisch gesehen agiert BDS viel zu aufgeregt und einseitig als dass so eine größere Bevölkerungsgruppe angesprochen werden kann, weil 90% oder mehr mit derartig blöden Dauerkonflikten nichts mehr zu tun haben wollen. Das ist eigentlich höchstens noch für Retrolinke interessant, die noch auf seltsame & arachische Kampfrituale stehen. Vielleicht dann ein Fortschritt, wenn bisher auf direkte Gewalt setzende Menschen auf mehr symbolische Kampfrituale sich zurücknehmen. Kann dann aber nur ein Zwischenschritt sein.
Ein allgemeiner Boycott-Aufruf begeht selbst das der anderen Seite vorgeworfene Delikt der Sippenhaftung und ist natürlich mit den allgemeinen Menschenrechtserklärung bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention genauso unvereinbar. Wenn Israel und Palästina der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten würden und sich an diese halten, dann gäbe es rasch eine gemeinsame Basis zur gewaltfreien Konfliktaustragung für zumindest einen gemeinsamen Staatenbund mit gegenseitiger Anerkennung auch der jeweiligen Minderheitenrechte sowie einem ökonomischen Ausgleich. Das wäre vielleicht einmal etwas kreativer!
Trackback by Martin Mair 3. August 2019 10:14
Ein Boykott würde den Staat treffen – einen Staat, der sich nicht an internationale Gepflogenheiten hält.
Der Boykott würde – so wie in Iran oder Russland oder Syrien oder Venezuela vermutlich leider gerade die Ärmsten am härtesten treffen. Bei diesen Staaten verhängt der Westen bei geringeren Menschenrechtsverfehlungen einen Boykott – ohne viel Federlesen.
Aber: Israel behauptet von sich eine ausgebildete Demokratie westlicher Prägung zu sein – also nicht wie Iran oder China oder was auch immer.
In einer Demokratie sind alle Einwohner für die Politik des Landes verantwortliche. Israel befindet sich seit ca. 60 Jahren im Kriegszustand – oder zumindest im Konfliktzustand mit seinen Nachbarn und zeigt wenig Ambitionen, diesen Konflikt so zu beenden, dass – etwa die Palästinenser auch zu ihrem Recht kämen. Diese Politik ähnelt in vielen Punkten einer Kolonialpolitik (siehe etwa, wenn Häuser von Palästinenser außerhalb der Grenzmauern Israels zerstört werden).
Allein der anhaltenden Konfliktzustand würde für Euopa Boykott-Maßnahmen rechtfertigen – zumindest am Rüstungssektor.
Dadurch dass die israelische Bevölkerung eine Regierung im Amt lässt, die eine solche Konfliktpolitik betreibt, ist jeder Israeli mit Schuld (etwa vergleichbar mit Österreichs Waldheimsanktionen).
Ein Boykottaufruf, getätigt von den Unterdrückten ist also in diesem Maße mehr als verständlich und müsste nicht weiter relativiert werden. Schließlich werden hier Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und ihrer Existenzgrundlage beraubt. Ein Boykottaufruf und Solidarität mit diesem Aufruf ist also die geringste Unterstützung die hier dem Schwächeren zukommen kann.
Soweit ich mich erinnere, wurde jegliche Lösung des Konflikts von Israel blockiert: 1 Staaten-Lösung, 2 Staaten-Lösung egal was, Israel kümmert sich nicht um die Rechter der Palästinenser. Aktuell gäbe es eine 2 Staatenlösug – die auch von vielen Staaten anerkannt wird.
Aber Israel hat gegenüber den Palästinensern die Zusagen aus dem Camp David-Abkommen nicht eingehalten. Verurteilungen ihrer Polititk seitens der UN wertet Israel als „feindlichen Akt“ gegen Israel und nicht als Mahnung, Menschenrecht einzuhalten.
Das ist ja das Problem: Palästinenser Demonstrierern – Israeische Soldaten schießen scharf und gezielt. Das macht in dieser brutalen Form kein Staat der Welt.
Trackback by friedi 4. August 2019 06:57